Die Spirale

Die Spirale – eine eigensinnige Form

In Stuttgart, Malmö oder Dubai schießen im neuen Jahrtausend Spiralbauten aus dem Boden wie Pilze nach einem Regen. Weltweit geben sich Städte mit einem Spiralbau ein Kennzeichen: Berlin mit dem Reichstag, Batumi (Georgien) mit dem Alphabetic-Tower oder Yaoundé in Kamerun mit seinem Monument der Wiedervereinigung.

Wenn man bedenkt, welche Faszination die Spiralform für die Menschen immer gehabt hat, wundert es, wie lange es gedauert hat, bis die Architekten Gebäude in Spiralform bauten. Im neunten Jahrhundert bauten die Moslems im fernen Mesopotamien mal einen Spiralturm, dann dauerte es über tausend Jahre bis man das Thema wieder aufgriff.

Das mag viele Gründe haben. Bis in das 20. Jahrhundert wusste man, was ein Gebäude war und wie es auszusehen hatte. Eine geschlossene Form nämlich, eine Kirche, ein Palast, ein Wohnhaus. Ein Gebäude bot Geborgenheit, Wände und Dach schirmten die Bewohner nach außen ab. Die Räume und die Raumfolge waren im Großen und Ganzen festgelegt.

Dagegen hätte ein Spiralbau Herausforderungen gestellt, die nicht einfach zu bewältigen wären. Schon die technische Konstruktion wäre ohne Computer eine komplizierte Rechenaufgabe gewesen. Praktisch schien so ein Bau auch nicht zu sein, entweder wäre der Boden im Innern schief geworden, oder es hätten sich Räume auf versetzten Ebenen ergeben. Das größte Hindernis scheint mir aber die Ideologie zu sein, die hinter der offenen Form der Spirale stand. Boullé und Ledoux, die Revolutionsarchitekten des 18. Jahrhunderts entwarfen Gebäude als Kugel, Zylinder, Pyramide aber die Spirale vermieden sie. Ich unterstelle ihnen: aus ideologischen Gründen. Eine Spirale wäre diesen aufgeklärten Architekten zu bedeutungbelastet gewesen.

Die Ideologie der Spirale

Ernst Haeckel Ammoniten (PD) https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Haeckel_Ammonitida.jpg

Ernst Haeckel Ammoniten (PD) https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Haeckel_Ammonitida.jpg

Als gegen Ende des Imperialismus um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert Belege zur Volkskunst aus allen Ecken der Welt vorlagen, suchte und fand der Mexikaner Adolfo Best-Maugard Gemeinsamkeiten in der Kunst aller „primitiver“ Völker der Welt. Dann schrieb er seine Anleitung zur Kunsterziehung „A method for creative design“ (1926), die bis heute noch aufgelegt und benutzt wird. Er sah in der Spirale die Grundform seiner sieben Motive Kreis, Halbkreis, Linie, S-Linie, Welle und Zickzack, die sich alle aus ihr ableiteten. Belege fand er von den Nazcas über die Kelten bis zu den australischen Aborigines. Er fand auch die immer gleichen Deutungen: Werden und Vergehen, Fruchtbarkeit, Innen und Außenwirkung, etc. Die Spirale diente überall als Zeichen für die Natur, die menschliche Psychologie und für göttliches Wirken.

Während Best-Maugard Grundformen in der Kultur fand, suchte sie sein Zeitgenosse Ernst Haeckel in der Natur, darunter war wie selbstverständlich auch die Spirale. Und um die Jahrhundertwende war die Spirale eine bei den Malern beliebte Form, van Goghs spiralige Bildhintergründe und Klees Spiralbilder sind allgemein bekannt.

Trojaburg Visby, Schweden (PD) https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Trojeborg,_Nordisk_familjebok.png

Trojaburg Visby, Schweden (PD) https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Trojeborg,_Nordisk_familjebok.png

Überhaupt war die Spirale durch die Jahrhunderte eine beliebte Form. In der Volkskultur des Mittelalters entstanden in Europa die Rasenlabyrinthe, sogenannte Trojaburgen, die bis in die Kirchen vordrangen, wie etwa auf dem Boden der Kathedrale in Chartres. Und natürlich kannte die Architektur die Spirale als Ornament in der ionischen Säule oder in gotischen Kirchenfenstern und an Renaissance-Fassaden, aber auch in der Wendeltreppe als Teil eines Gebäudes.

Robert Smithson, Spiral Jetty (PD) Soren harward https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Spiral-jetty-from-rozel-point.png

Robert Smithson, Spiral Jetty (PD) Soren harward https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Spiral-jetty-from-rozel-point.png

Doch blieb die Spirale sozusagen auf dem Boden, sie war eine zweidimensional gedachte Figur bis gegen Ende des 20. Jahrhunderts die Land-Art eingriff. 1970 baute Robert Smithson mit schwerem Gerät eine Spirale – seine „spiral jetty“ – in den Großen Salzsee in Utah. Einerseits ist diese Spirale ein traditionelles Rasenlabyrinth, salzverkrustet auf rosa bakteriengefärbtem Wasser. Und wie sein Pendant auf dem Rasen ist es nicht nur zu betrachten sondern auch zu begehen wie ein wirklicher Landungssteg. Andererseits aber konstruierte Smithson seine Spirale aus lokalen Materialien, dass sie im Lauf der Jahre durch die Natur zerstört werden kann. So klingt auch im modernen Kunstwerk die uralte mythische Deutung der Spiralform als Werden und Vergehen wieder an.

Siehe hierzu: http://www.hannsjoerg-voth.de/images/08_foto_01.jpg

Der Deutsche Hannsjörg Voth errichtete in den Jahren 1994-97 eine spiralige Erdskulptur in Marokko, die „Goldenen Spirale“. Voth gibt auf seiner Internetseite eine Deutung seines Baus so, als möchte er bestätigen, dass auch heute noch Spirale und Mythos eng verbunden sind:

http://www.hannsjoerg-voth.de/08_goldene_spirale.html

Der Spiralbau bekommt einen schlechten Ruf

Spiralminarett der Großen Moschee von Samarra (CC) BY lzzedine https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Great_Mosque_of_Samarra.jpg

Spiralminarett der Großen Moschee von Samarra (CC) BY lzzedine https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Great_Mosque_of_Samarra.jpg

Der erste uns bekannte Spiralbau ist das Minarett der Großen Moschee von Samarra, das im 9. Jahrhundert gebaut wurde. Der Bau ist eine Art freistehende Wendeltreppe, deren innen liegende Spindel massiv ist. Oben wird das Minarett durch einen Pavillon abgeschlossen, dessen Funktion nicht bekannt ist. Überhaupt ist die Funktion des ganzen Turms den Interpreten ein Problem. Er ist  mit seinen 55 Metern zu hoch, dass man von ihm aus den Gebetsruf des Muezzin hätte hören können. Warum also baute jemand einen unbrauchbaren Turm nach dem Modell des mesopotamischen Zikkurat – eines Tempels mit massivem Kern und Außentreppe?

Der islamischen Welt war diese Frage gleichgültig. Ein paar Jahre später baute man das Minarett in der Nähe Samarras nach, danach in Kairo, und in Qatar sogar noch in diesem Jahrtausend. Die Türme waren allerdings niedriger und daher benutzbar. Sonst aber fand dieses Minarett keine weitere Beachtung bei den Moslems.

Siehe hierzu auch: http://www.stanford.edu/group/kircher/cgi-bin/site/?attachment_id=713

Im christlichen Abendland aber bekam dieser Spiralbau eine besondere Bedeutung, als man ihn mit der Bibel in Zusammenhang brachte. Der Turm zu Babel ist im Alten Testament ein Sinnbild für den Hoch- und Übermut der Menschen, die einen Turm bauen wollten, der bis zum Himmel reichte. Doch ein unwilliger Gott wollte die Menschen nicht so nahe an sich heran lassen und verhinderte den Bau durch die babylonische Sprachverwirrung. In einer Assoziationsfolge, die heute schwer nachzuvollziehen ist, sahen die Menschen des Mittelalters diesen Turm als einen Spiralbau. Man vermutet, dass unklare Berichte über den Zikkurat zu dieser Vorstellung führten oder dass gar eine Verwechslung mit dem Minarett der Großen Moschee vorliegt. Auf jeden Fall war im Mittelalter der Spiralbau negativ besetzt – sogar noch bis ins 19. Jahrhundert, als Gustave Doré und Schnorr von Carolsfeld ihre Illustrationen zur Bibel schufen.

Sandro Boticelli, The Abyss of Hell, Illustration zu Dante Aleghieris Inferno (PD) https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Sandro_Botticelli_-_The_Abyss_of_Hell_-_WGA02853.jpg

Sandro Boticelli, The Abyss of Hell, Illustration zu Dante Aleghieris Inferno (PD) https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Sandro_Botticelli_-_The_Abyss_of_Hell_-_WGA02853.jpg

Dante Aleghieri setzt im 14. Jahrhundert noch eins drauf, indem er den babylonischen Turm auf den Kopf stellte. Jetzt führte der Spiralweg statt nach oben nach unten immer tiefer in die Hölle. Man kann uns Christen nur bedauern, in den Himmel gelangen wir auf dem Spiralweg nicht, und wenn wir ihn beschreiten landen, wir in der tiefsten Hölle.

Solche Gedanken mögen die Baumeister des Mittelalters (und der Neuzeit?) davon abgehalten haben, einen Spiralbau zu errichten. Ein Gebäude mit so einem Ruf bauten gottesfürchtige Menschen nicht.

Zu Beginn der Neuzeit wagten einige Architekten aber doch einen Spiralturm zu bauen, ohne dass sie sich bewusst waren, gegen welche Tradition sie verstießen.

Francesco Borromini, Chiesa di Sant'Ivo alla Sapienza (PD) https://it.wikipedia.org/wiki/File:SantIvo_Drawing_02.jpg

Francesco Borromini, Chiesa di Sant’Ivo alla Sapienza (PD) https://it.wikipedia.org/wiki/File:SantIvo_Drawing_02.jpg

Francesco Borromini baute zwischen 1642 und 1660 St. Ivo in Rom und gab dem Kirchturm eine außen liegende Spiraltreppe. Borromini benutzte die Spirale zu einem komplexen metaphorischen Spiel, das hier nicht weiter interessiert. Was aber bemerkenswert erscheint ist, dass nach mehr als einem halben Jahrtausend sich jemand an den Spiralturm wagte.

Auch die Protestanten in Dänemark scherten sich nicht um den schlechten Ruf des Spiralturms. Der Turm der Erlöserkirche in Kopenhagen (1752) hatte einen Turm mit Außenspirale, nachdem die Börse dort – schon kurz vor Borromini (1619-1640) – sich den gewundenen Stoßzahn eines Narwals auf das Dach gesetzt hatte.

In der Geometrie leitete Albrecht Dürer bereits 1525 in seiner „Unterweysung der Messung“ eine Entmythologisierung der Spirale ein und spätestens ab Goethes Entdeckung der „Spiraltendenz der Vegetation“ (1830-31) war die Spirale Gegenstand der Forschung geworden.

Aber war das die Befreiung der Spirale von ihrer Ideologie?

Wie es scheint tat die Wissenschaft am Anfang des 20. Jahrhunderts genau das, indem sie den Blick von der Deutung der Spiralform auf die Beobachtung der Spiralen in unserem Universum lenkte. Die Wissenschaft griff dabei fröhlich unbekümmert auf ein altes Modell zurück, das zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos Analogien fand, ähnliche Formen von der Form einer Galaxie zu der Doppelhelix der DNA. Andere Erkenntnisse kamen dazu, und unter deren Einfluss sich unser Weltbild wandelte. Seit Einstein wissen wir, dass sich Raum und Zeit gegenseitig bedingen, dass das Weltall sich ausdehnt erfuhren wir einige Jahrzehnte später. Und das hatte seine Auswirkung auch auf die Künste.

Palau Guell (CC) BY Frank Kovalchek https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Gaudi%27s_chimneys_2,_Palau_Guell,_Barcelona_%28IMG_5432a%29.jpg

Palau Guell (CC) BY Frank Kovalchek https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Gaudi%27s_chimneys_2,_Palau_Guell,_Barcelona_%28IMG_5432a%29.jpg

Wenn Gott nun „(k)ein feste Burg“ mehr ist, dann fühlten sich Architekten innerhalb dicker Mauern auch nicht mehr wohl und fingen an, Wände aufzubrechen, damit die Umwelt in ein Haus dringen konnte (vorsichtshalber sicherte Mies van der Rohe die Öffnungen mit Glas gegen die Witterung). Alles, was festgegründet und stabil schien, war verdächtig. In Barcelona im Parc Güell wogten Mauerkronen wie Wellenkämme und Pfeiler gerieten aus dem Lot und auf dem Dach des Palau Güell bohrte sich eine Kaminspirale in den Himmel.

Das war die Chance für die Spirale. Sie passte in diese dynamisch veränderte Welt.

Vladimir Tatlin, Monument für die Dritte Internationale (PD) https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Tatlin%27s_Tower_maket_1919_year.jpg

Vladimir Tatlin, Monument für die Dritte Internationale (PD) https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Tatlin%27s_Tower_maket_1919_year.jpg

Das ist abzulesen an Wladimir Tatlins „Monument für die Dritte Internationale“ aus den Jahren 1919-1925. Es war ein Denkmal und ein Gebäude und blieb ein Modell, weil es Tatlin nicht zur Realisierung gedacht hatte. Das Monument sollte ein Turm sein aus Eisen und Glas. In zwei spiraligen Rahmen schraubte das Gebilde sich 400 Meter weit empor, dieser Rahmen umspannte drei rotierende Glaskörper, einen Würfel, eine Pyramide und einen Zylinder. Der Zylinder an der Spitze war für die Massenmedien einschließlich Rundfunksender und sollte sich einmal am Tag u sich drehen. Darunter die Pyramide für das Büro der Dritten Internationale, die sich einmal im Monat drehte. Und am Boden der Würfel für den Obersten Sowjet, der sich einmal im Jahr drehte. (damit war zum ersten mal der Gedanke formuliert, dass ein Spiralkörper die Drehung nicht nur simulieren sondern tatsächlich ausführen sollte).

Die Spirale simulierte die Drehung nach oben – nicht mehr zum babylonischen Gott sondern zum Kosmos – dem Gottersatz – auf den die Sendeantenne sich richtete.

Das Gebäude war als Monument gedacht, aber wofür? Die Spirale sprach von der „Befreiungsbewegung der Menschheit“ (Tatlin), spielte mit der Bedeutung des Begriffs Revolution als Drehung und als Umsturz. Während der Eiffelturm inhaltsleer aber technisch vorbildlich war, war die Freiheitsstatue reaktionär, weil sie eine menschliche Figur darstellte und dadurch die Zukunft ignorierte, die der Technik und der Maschine gehörte. Die Spirale hatte eine neue Ideologie.

Bruce Goff, Bavinger House (PD) jones2jy https://en.wikipedia.org/wiki/File:Bavinger_Exterior.JPG

Bruce Goff, Bavinger House (PD) jones2jy https://en.wikipedia.org/wiki/File:Bavinger_Exterior.JPG

Sie blieb eine Form, in die man Utopie füllen kann, weil die Form offen ist. Das zeigte sich am Bavinger House, das Bruce Goff von 1950 bis 1955 in Oklahoma entwarf. Es war das erste realisierte Spiralhaus im 20. Jahrhundert. Die Bauherren Bavinger wollten nicht mehr wie in ihrer Mietwohnung in einer Schachtel wohnen, das war ihr Wunsch an den Architekten. Bruce Goff kam mit der Idee eines Spiralhauses. Das Haus hat (außer dem Badezimmer) keine Innenwände. Das Dach und die „Zimmer“ sind an einer zentralen Spindel aufgehängt, eine Treppe verbindet die Wohn- und Schlafräume. So bekommt  der Bau Dynamik, der Innenraum ist erstarrte Bewegung.  Die Außenwand wurde mit Steinen aus einem naheliegenden Steinbruch ausgeführt, damit es sich in die umgebende Natur einfügte. Offenheit im Inneren und zur Natur draußen, das entsprach dem Bedürfnis der Bavingers.

Solomon R. Guggenheim Museum (CC) BY Jean-Christophe BENOIST https://commons.wikimedia.org/wiki/File:NYC_-_Guggenheim_Museum.jpg

Solomon R. Guggenheim Museum (CC) BY Jean-Christophe BENOIST https://commons.wikimedia.org/wiki/File:NYC_-_Guggenheim_Museum.jpg

Frank Lloyd Wrights Guggenheim Museum in New York (1955) verschaffte dem Spiralbau internationale Anerkennung. Form und Funktion waren für Wright dasselbe, und Museum und Spirale sind hier in einer glücklichen Weise verbunden.

Die Spiralform des Gebäudes ist nach außen deutlich sichtbar – im Einklang mit architektonischen Theorien der Fünfziger Jahre. Das Gebäude schließt aber die Umgebung vollständig aus, um einen Innenraum für Gemälde zu schaffen. Wo wir Offenheit nach außen von der Spirale erwarten könnten, ist hier das Gegenteil: Abtrennung. Im Deutschen und Englischen gibt es den dazu passenden Ausdruck: sich in ein Schneckenhaus zurück ziehen. Doch es lohnt sich nach innen zu gehen, man wird durch einen spektakulären Raum belohnt.

Dort enttäuscht Wright Erwartungen ein zweites Mal, der Besucher fährt mit dem Aufzug nach oben und wandert abwärts an den ausgestellten Gemälden vorbei. Dantes Weg zur Hölle wird zur Wanderung durch die Kunst, wobei man immer freien Ausblick auf die anderen Etagen des Baus hat.

Hier ist ein Spiralbau, der nur Funktion und Form zulässt, aber keinen Verweis zugesteht an Ideen, die ins Weltanschauliche schweifen. Vielleicht macht das den Bau zum Klassiker.

Wir, meine Frau und ich, in Biberach an der Riss, waren begeistert von Dieter Schmids Idee, uns eine Wohnspirale zu bauen. Das entsprach uns, denn wir wollten ein Haus, das mehr war als ein Hülle zum Wohnen. Trotz unserer Begeisterung überlegten wir lange, warum wir glaubten, wir würden uns in einer Spirale wohl fühlen. Schließlich war die Spirale eine mythische und eine klassische Form und beide – Mythos wie Klassik – schienen uns keine Bedeutung mehr zu haben. Es stellte sich jedoch heraus, dass  sich unsere Fragen ganz von selbst beim weiteren Planen erledigten.

Doch der Reihe nach. Dieter experimentierte in den siebziger Jahren mit seriellen Teilen meist aus Beton, die vorgefertigt an der Baustelle montiert werden sollten. Die von Dieter für unser Haus entwickelten Teile schraubten sich aneinander gereiht in einer Spirale in die Höhe. Obwohl Dieter damals sein Geld mit Computern verdiente, berechnete er die Teile noch im Kopf!

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Auch anderes entsprach wie selbstverständlich unserem Verständnis: die Entsprechung von Außenansicht und Innenraum oder die Ausgestaltung des Wohnraums zu einem Gesamtkunstwerk, in dem Architektur, Malerei und Plastik sich vereinigten. Martin Heilig, der Kunstmaler, der von Anfang an an den Planungen beteiligt war, ging in seiner „Ana-Malerei“ so weit, dass er ein Gemälde an die Decke fügte, das die Bewegung des Raumes aufnahm und je nach Standpunkt des Betrachters eine andere Ansicht bot, von einem realistischen Gemälde zu einem abstrakt expressionistischen (um der Kürze wegen mit Schlagwörtern zu arbeiten).

Das Haus erregte weltweit Aufmerksamkeit, und unsere ruhige Straße mit ihren großen Gärten war einige Jahre lang richtig belebt. Die Betrachter fragten fast automatisch: wie lebt es sich in diesem Haus, könnt Ihr Möbel stellen, wie sieht es innen aus?

Unsere Antwort: Das Haus erfährt du, indem du es bewohnst oder zumindest hindurch schreitest. Das „Anagemälde“ (Martins Bezeichnung für ein sich veränderndes Bild) erblickst du durch eine Öffnung in einem bemalten Hochrelief im Wohnzimmer, dann ist das Bild ganz durch das Stuckrelief verdeckt und nach wenigen weiteren Schritten wirkt das Bild verzerrt, denn du hast einen anderen Standpunkt zu dem Bild eingenommen und musst dir klar werden was sich geändert hat: das Bild oder deine Einstellung zu dem Thema?

Das Thema des Bilds ist auch das Thema des Hauses. Zwei Frauengestalten, eine aufrecht stehend aber erschöpft, trocknet sich mit einem blauen Tuch. Das Tuch aber ist der Mantel und der Kopf einer Frau. Es handelt sich um Santa Ludovica von Bernini in der Extase ihrer Vereinigung mit Gott. In welchem Zusammenhang stehen die beiden Frauengestalten?

Beim Durchschreiten verändert sich die Perspektive des Betrachters, die Zeit des Durchschreitens ergibt den Innenraum des Gebäudes, als ob der Raum sich durch die Zeit veränderte (Einstein soll milde und verständnislos gelächelt haben, als der Kunsthistoriker Giedion ihm von dieser Wirkung eines – allerdings anderen Baus – berichtete). Aber das Durchschreiten des Hauses ist nicht das Gehen in eine Richtung. Die Spirale des vorderen Hausteils wird gebrochen, du musst dich wenden und zwei kurze Treppen hinabsteigen bis dahin, wo im hinteren Teil die Spirale erneut anfängt sich aufwärts zu bewegen. Eine gebrochene Spirale – bedeutet das Scheitern und Wiederbeginn?

Das klingt alles sehr ernst und tiefsinnig, das Schöne an diesem Raum ist seine Leichtigkeit und seine heitere Stimmung. Mag sein dass das an einem heute eher ungewöhnlichen Detail liegt. Von der blauen Decke fließt ein Strom aus Blattgold über Decke und Stuckwand, und schwappt über in andere Räume und an die Außenwand des Gebäudes.

Das Haus lässt nicht gleichgültig, du agierst und reagierst mit dem Haus. Auf die einfachste Weise, indem du „gefällt mir“ sagst oder auch nicht. In einer anderen Art wirst du auf dich selbst zurück geworfen und gerätst ins Grübeln oder entscheidest dich sehr schnell – für oder gegen das Haus und seine Philosophie.

Paksi Szentlélek templom(PD) osbi https://en.wikipedia.org/wiki/File:Makoveczpaks.jpg

Paksi Szentlélek templom(PD) osbi https://en.wikipedia.org/wiki/File:Makoveczpaks.jpg

Siehe hierzu: http://hazai.kozep.bme.hu/szentlelek-templom-paks/

Der ungarische Architekt Imre Makovecz baute in den Jahre 1987 bis 91 die Kirche in Paks auf dem Grundriss einer Spirale. Die Spirale gibt der Kirche ein Thema vor, sie setzt sich im Garten fort, wo im Zentrum der Spirale Engelsfiguren stehen. Sie findet sich auch im Innenraum wieder als Ornament. Makovecz schaffte ein beeindruckendes Gebäude aus einer volkstümlichen ungarischen Tradition, seine Intention war die Spirale als religiöses Symbol einzusetzen, um so der alten mythischen Bedeutung eine christliche Umdeutung zu geben. So bildet seine Kirche eine Art Insel in dem Suchen der Architekten nach dem angemessenen Einsatz des Spiralbaues in der Moderne. Zu seinem Archipel der Inselarchitektur gehören die oben erwähnten Nachbarinseln „Spiral Jetty“ und „Goldene Spirale“.

Es gibt heute (2013) so viele Spiralbauten, dass wir nicht mehr ihre ungewöhnliche Form beeindruckend finden, sondern nach er spezifischen Lösung des Spiralproblems fragen können. Das ist natürlich gleichzeitig die Frage nach ihrer Qualität.

Nun ist „Qualität“ ein höchst subjektiver Begriff und zeitgenössische Werke nach ihrer Qualität zu beurteilen ist eine Sache, die so ihre Probleme hat. Die Zeit ist da oft ein besserer Richter. Ich kann zumindest ein Kriterium meiner Beurteilung geben, im Anschluss an Oswald Mathias Ungers. Seine Kriterien möchte ich in einem Satz zusammenfassen: Ein Gebäude ist dann gut, wenn es in „Vorstellungen, Metaphern und Analogien“ gedacht und entworfen ist. Wenn, so ergänze ich, ein Gebäude eine übergreifende Philosophie oder, wenn man so will, ein Thema hat, das konsequent durchgestaltet ist.

Zunächst drei Spiralbauten, die etwas mit nationaler Identität zu tun haben.

Alphabet Tower, Batumi (CC) BY SA Keizers https://en.wikipedia.org/wiki/File:Alphabet_Tower_at_night,_Batumi.JPG

Alphabet Tower, Batumi (CC) BY SA Keizers https://en.wikipedia.org/wiki/File:Alphabet_Tower_at_night,_Batumi.JPG

In Batumi in Georgien entstand 2010 der Alphabetic Tower direkt am Schwarzen Meer, ein 130 Meter hoher Stahlskelettturm, an der Spitze eine Kugel mit einem sich drehenden Restaurant. In zwei spiraligen Bändern laufen die 33 Buchstaben des georgischen Alphabets nach unten. Die Wahl einer Spirale für Identität wirkt hier nicht schlüssig, außerdem ist eine Buchstabensuppe, die aus einem Restaurant den Turm hinunter läuft, nicht Architektur sondern Reklame. Aber zugegeben: eine pfiffige Reklame.

Yaounde Reunification Monument (CC) BY SA cameroontraveler https://en.wikipedia.org/wiki/File:Yaounde_Reunification_Monument.png

Yaounde Reunification Monument (CC) BY SA cameroontraveler https://en.wikipedia.org/wiki/File:Yaounde_Reunification_Monument.png

Das Monument der Wiedervereinigung in Yaoundé, zum Gedenken an die Zusammenführung von französisch und englisch Kamerun im Jahr 1961, wirkt knapp, klar und einleuchtend: zwei gegenläufige Spiralen kommen zusammen. Mir imponiert die einfache, unverschnörkelte Aussage.

(CC) BY SA Barry Plane https://en.wikipedia.org/wiki/File:Reichstag_Dome_at_night.jpg

(CC) BY SA Barry Plane https://en.wikipedia.org/wiki/File:Reichstag_Dome_at_night.jpg

Auch zu Norman Fosters Kuppel des Reichstags habe ich nicht viel zu bemerken, Wir Deutschen haben die Kuppel akzeptiert und sind von dem Zeichen überzeugt, das sie setzt.

http://www.haus-der-astronomie.de/de/bilder-und-videos/bilder/gebaeude

Hier noch zwei weitere Beispiele aus Deutschland, die mich nicht ganz überzeugen. Da ist das Haus der Astronomie in Heidelberg (2011), das leicht erkennbar eine Spiralgalaxie abbildet. So weit ich weiß, stellt das Haus keinen Anspruch auf künstlerische Qualität. Mit Recht, denke ich, eine Analogie macht noch keine gute Architektur.

Waldspirale (CC) BY SA Heidas https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Darmstadt-Waldspirale-Hundertwasser4.jpg

Waldspirale (CC) BY SA Heidas https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Darmstadt-Waldspirale-Hundertwasser4.jpg

So wohltuend es ist, ein Haus außerhalb der genormten Architektur zu sehen, so sehr frage ich mich, wenn ich in Darmstadt Hundertwassers „Waldspirale“ (2000) betrachte, ob sie ein Gebäude ist, das ich gern sehen möchte. Mir scheint der Bau zu verspielt und zu gefällig. Ich kann mich nicht für ihn begeistern. Ist das nur mein Problem?

Turning Torso (CC) BY SA MrPandyGoff https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Turning_Torso_2.jpg

Turning Torso (CC) BY SA MrPandyGoff https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Turning_Torso_2.jpg

Siehe hierzu: http://eliinbar.files.wordpress.com/2013/02/4torso.jpg

Santiago Calatrava baute von 2001 bis 2005 in Malmö den „Turning Torso“. In einer Entwurfszeichnung gibt er einen sich drehenden menschlichen Rumpf als seine Inspiration an. Der Turm macht eine Drehung von 90 Grad, das Rückgrat des Torsos ist außen am Gebäude angebracht.

Calatravas Einfall, seinen Bau in Analogie zu einer sich drehenden menschlichen Figur zu sehen, ist ein nostalgischer Rückgriff, den manche heute als arrogant empfinden. Es ist ein Rückgriff auf die Figura Serpentinata des Manierismus, zu einer Zeit, als der Mensch sich noch sicher war, in seiner Wirklichkeit zu Hause zu sein. Der Mensch stand über dem Vieh und unter den Engeln, und die figura serpentinata wand sich in Extase, der Erfahrung seiner Kommunikation mit oben, mit Gott.

Übersetzt in Calatravas Architektur wird diese Idee zur Himmelfahrt in Wohncontainern, was den Architekten nicht im geringsten stört und den Betrachter überraschenderweise auch nicht. Der Bau wirkt leicht, elegant wie Brancusis Vogel.

Siehe hierzu: http://www.guggenheim.org/new-york/collections/collection-online/artwork/669

Und wie Brancusis Skulptur ist Calatravas Torso Kunst, eine Kunst für den Betrachter und nicht unbedingt für den Bewohner.

Die Innenräume des Torso sind konventionell schick, Wände lehnen sich nach außen, man bekommt den Einruck (wie die Bewohner sagen) in einem Flugzeug über den Dingen zu schweben.

Keiner interessiert sich dafür, wie Brancusis Skulptur innen aussehen mag. So ist das auch bei Calatravas Torso. Die Bewohner müssen nach draußen, um zu erfahren, wie sie wohnen.

Der Beweis für eine gelungene Leistung ist dann erbracht, wenn die Leistung nachgeahmt wird. Der Infinity Tower in Dubai hat sein Rückgrat innen, wie es sich für einen Rumpf gehört. Doch sein Name (Unendlichkeit) klingt hochmütig und fordert eine babylonische Strafe heraus. Um die abzuwenden haben die Eigentümer den Turm nach seiner Fertigstellung (2013) in Cayan Tower umbenannt.

Siehe hierzu: http://www.dynamicarchitecture.net/

Im Jahr 2008  stellte David  Fisher seinen Plan für den „Dynamic Tower“ vor, 2010 sollte der erste dieser Türme in Dubai stehen, weitere waren für London, Paris und Moskau geplant. Es ist ein ehrgeiziger Plan, der Turm erzeugt mit Windrädern die Energie, die er verbraucht, der Turm wird zum Großen Teil aus vorgefertigten Elementen gebaut, und als Höhepunkt wird das Gebäude „vier Dimensionen haben, den drei Dimensionen des Raums wird die vierte, die der Zeit, hinzugefügt“. So sagt Fisher selbstbewusst.

Um einen festen Betonkern werden die vorfabrizierten Stockwerke montiert, und sie können sich einzeln um 360 Grad drehen. Das Gebäude simuliert nicht mehr durch seine Gestalt eine Bewegung sondern führt sie tatsächlich aus. In der Animation auf Fishers Internetseite ergibt das atemberaubende Wandlungen des Turms, in einer Spirale wandert die Bewegung vom Boden bis in die Spitze und erstarrt in einem schlanken Schaft, bis die Bewegung neu beginnt.

Fehlende Baugenehmigungen und technische Probleme (z.B. mit der sanitären Einrichtung) haben bis jetzt die Realisierung verhindert. Fisher hofft auf einen baldigen Baubeginn. Wir dürfen weiter gespannt bleiben, ob ein Spiralbau sich wirklich in Bewegung setzen wird.

Mercedes Benz Museum Stuttgart (C) Christian Richters https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Mercedes-UNStudio-01.jpg

Mercedes Benz Museum Stuttgart (C) Christian Richters https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Mercedes-UNStudio-01.jpg

Das Mercedes Benz Museum in Untertürkheim (2006, Architekt: Ben van Berkel, UN-Studio) ist wie das Guggenheim Museum von Wright ein auf den Kopf gestellter Turm zu Babel. Man fährt mit dem Aufzug nach oben und geht dann durch die Ausstellung abwärts. Das widerspricht der gewohnten Empfindung, in der Abwärtsgehen den Weg ins Scheitern bedeutet oder den Weg in die Vergangenheit.

Hier ist das Abwärtsgehen ein Gang von den ältesten Modellen oben zu den Neuheiten unten. Der Weg ist in zwei Spiralen wie in einer DNA-Helix angelegt, die so ineinander verschlungen sind, dass man immer wieder von einem Weg zu dem andern wechseln kann. Das lässt einen die Orientierung verlieren, von keinem Punkt aus, kann man das Ganze des Gebäudes wahrnehmen, man befindet sich auf einem Weg und das Ziel ist nicht zu sehen. Und doch kann man den Weg nicht verfehlen.

Das ist noch der Vorteil von Wrights Guggenheim Museum, dass der Besucher den Überblick behält, weil er von jedem Standpunkt, das übrigen Gebäude sehen kann. In Untertürkheim ist der Punkt erreicht, an dem die Dinge nicht mehr durch bloßes Anschauen verstanden werden Eine Lokomotive, einen Schaufelraddampfer, das erste Benz-Auto muss man nicht erklären. Aber was sagt das Auge über einen Computer? Oder über das Mercedes-Benz Museum? Hier wird nicht die Sprache des Besuchers verwirrt wie in Babylon sondern mehr: seine Wahrnehmung.

Der Bau gefällt nicht jedem. Das Leben draußen vor dem Museum ist voller Unsicherheit und Veränderung, man hätte gern hier drin Gewissheit, wie in einem Museum von früher. Hier ist nichts sicher. Ein bestimmtes Mercedes Modell ist keine endgültige Lösung für die Fortbewegung, denn es wird immer neue Modelle geben.

So ist dieses Gefühl der Unbeständigkeit ein Kompliment an den Architekten – er hat sein Ziel erreicht. Ein Architekt, der einen Bau hinstellt, der allen gefällt, hat etwas gründlich falsch gemacht.

Ausblick

Siehe hierzu: http://thecreatorsproject.vice.com/blog/the-mobius-strip-gives-form-to-a-buddhist-temple-in-shanghai-qa-with-designer-wang-qing

In Schanghai ist ein buddhistischer Tempel in Planung, dessen Plan von einem Möbiusstreifen ausgeht. Eine der grundlegenden Vorstellungen des Buddhismus ist die Wiedergeburt und die Architekten wollen mit dem Möbiusstreifen diese Idee wiedergeben. Wenn der Tempel gebaut werden sollte, dürfte seine Wirkung überwältigend sein. Das Innere wird sich allmählich nach oben heben, es wird kein Unterschied zwischen Decke, Wand und Boden geben, alles im Raum verändert sich und führt weiter. Dadurch, hoffen die Architekten, realisiert sich der Gedanke der Reinkarnation.

Und damit wären wir an den Ausgangspunkt unserer Überlegungen zurückgekehrt und die Spirale ist wieder bei der Religion angelangt.

Liegt nun in der Form der Spirale selbst ihre Deutung oder legt der Betrachter die Deutung in sie hinein? Wenn wir es sind, die Deutung geben, dann könnte die Spirale jede beliebige Botschaft senden. Oder ist es so, dass die Spirale „mit redet“, sozusagen als Partner? Bis jetzt sieht es danach aus, als setze die Form Spirale ihrer Deutung Grenzen.

Von ihren magischen Anfängen bis zum Mercedes Museum ist ihre Botschaft: es geht weiter, über mich hinaus und es geht nicht immer geradewegs auf ein Ziel zu.

Dezember 2013 (CC) BY NC SA Rainer Weller